Glpyhosat: Wie gefährlich ist das Ackergift wirklich? – Ein Rückblick zur Podiumsdiskussion am 17.10.2017 in Chemnitz/Wittgensdorf

Unter dem Titel „Glyphosat – Wie gefährlich ist das Ackergift wirklich?“ diskutierten am 17.10.2017 von 18 bis 20 Uhr auf Einladung der GRÜNEN-Landtagsfraktion der agrarpolitische Sprecher der Fraktion Wolfram Günther, Biologe Tomas Brückmann von der Grünen Liga sowie Manfred Uhlemann, Hauptgeschäftsführer des Sächsischen Landesbauernverbandes (SLBV) uns dessen Kollege Andreas Jahnel, Referent für Pflanzenbau, nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien beim SLBV über die Auswirkungen von Glyphosat und die landwirtschaftliche Anwendungspraxis des Pflanzenschutzmittels. Moderiert wurde die kontroverse Debatte vom Chemnitzer Landtagsabgeordneten und GRÜNEN-Fraktionsvorsitzenden Volkmar Zschocke.

2017-10-17 VA Glyphosat Wittgensdorf (2)Den Einstieg ins Thema machte der Glyphosat-Experte Tomas Brückmann. In einem einführenden Vortrag veranschaulichte er die durch verschiedene Studien dargestellten möglichen gesundheitlichen und ökologischen Risiken des Pflanzengifts ebenso wie die Entwicklungen auf Bundes- und Europäischer Ebene bezüglich der Zulassung des Wirkstoffs.

Mit dem Verweis auf den Fall eines Landwirts im Vogtland, dessen Erkrankung an Botulismus im Verdacht steht mit der Anwendungspraxis von Glyphosat zusammen zu hängen, eröffnete Volkmar Zschocke die anschließende Podiumsdiskussion. Dabei richtete sich die erste Frage an den Landesbauernverband nach der Gefährlichkeit des Pflanzenschutzmittels für Menschen im Allgemeinen und für Landwirte im Besonderen. Mit den Worten: „Die gute Nachricht ist: Wir leben noch! Die schlechte Nachricht ist: Wir müssten alle schon längst tot sein“ stieg Manfred Uhlemann ein in das nach seiner Einschätzung emotional aufgeladene Thema nach den Gefahren von Glyphosat. Im benannten Fall aus dem Vogtland sei von einem Einzelfall auszugehen, bei dem keine gute fachliche Praxis stattgefunden habe. Hingegen ginge bei einem fachgemäßen Umgang mit dem Mittel keine Gefahr für Mensch und Tier aus. Gefahren für Nutztiere gingen vor allem durch Verunreinigung durch unsachgemäßes Vorgehen von Menschen aus, beispielsweise beim Eindringen von Tierschützern in Stallanlagen. Darüber hinaus sei bei einem Verzicht auf Pflanzenschutzmittel von einem Ertragsrückgang um etwa ein Drittel weltweit auszugehen, das müsse man in der Diskussion angesichts des weltweiten Hungers berücksichtigen. Tomas Brückmann wendete ein, man habe im vogtländischen Fall eine hohe Glyphosat-Konzentration im menschlichen Organismus nachweisen können. Auch wenn es sich in Sachsen um einen Einzelfall handle – bundesweit gibt es mehrere vergleichbare Fälle, insbesondere in Niedersachsen – müsse man dennoch den Zusammenhang zur Kenntnis nehmen.

Bei der Frage nach dem Einfluss von Glyphosat auf Nutztiere stellte Tomas Brückmann dar, dass vor allem die Herkunft von Futtermittel eine entscheidende Rolle spiele. Soja aus Lateinamerika, das durch Genbehandlung die Eigenschaft einer Glyphosat-Resistenz entwickelt und dadurch auch während des Wachstums mit dem Ackergift behandelt werden kann und wird, enthalte eine besonders hohe Konzentration des Mittels. Dem entgegnete Manfred Uhlemann, dass in Deutschland keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut würden und die sächsischen Landwirte zunehmend auf heimische Futtermittel setzten. Dies zeigten auch die positiven Entwicklungen bei der Kennzeichnung von Milch als „GVO-frei“ (gentechnisch veränderter Organismus), wofür sächsische Betreibe 1 Cent mehr pro Liter bekämen.

2017-10-17 VA Glyphosat Wittgensdorf (7)Zum Einfluss von Glyphosat auf Umwelt und Naturführte Wolfram Günther aus, dass die Anwendung des Totalherbizids Glyphosat einen erheblichen Beitrag zum Rückgang der Artenvielfalt leistet. Das Abtöten sämtlicher wildwachsender Pflanzen führt zu einem massiven Insektensterben. Dadurch wird wiederum Vögeln und anderen Tieren die Nahrungsgrundlage entzogen, das Artensterben setzt dort sich fort. Obgleich auch andere Umwelteinflüsse zu diesen Entwicklungen beitragen, sei die Kausalität von Pflanzenschutzmittelanwendungen und Biodiversitätsrückgang naheliegend. Auch Naturschutzprogramme und Greening-Maßnahmen der letzten Jahre haben keine Trendwende beim Artensterben bewirkt. Deshalb machen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Verbot von Glyphosat stark. Jedoch nütze es nichts, wenn nach dem Verbot ein anderes Mittel käme. Da ein Komplettverzicht auf Pestizide einen kompletten Systemwechsel in der Landwirtschaft erfordert, braucht es ein schrittweises Vorgehen, um die betriebswirtschaftliche Planbarkeit der Landwirtschaft zu gewährleisten. „Es muss erst einmal insgesamt weniger eingesetzt werden, zum Beispiel nur dann, wenn tatsächliche Schäden es erforderlich machen“, so Wolfram Günther. Man müsse auch die Wiedereinführung des mechanischen Pflugs ins Auge fassen. Wünschenswert wäre es seitens der Landtagsfraktion, gemeinsam mit dem Bauernverband Wege und erforderliche politische Rahmensetzungen zu beraten.

Ein Systemwechsel in der Landwirtschaft funktioniere nicht, so die Reaktion von Manfred Uhlemann. „Die größte Gefahr für die Landwirtschaft ist nicht der Milchpreis, sondern die Politik!“ schimpfte der Bauernvertreter. Die Sächsische Immobiliengesellschaft SIB mache den Bauern die Arbeit schwer durch zu hohe Pachtpreise. Und jahrzehntelang seien Landwirte zur pfluglosen Bodenbearbeitung erzogen worden. Für eine komplette Umrüstung der Technik fehle den Landwirten das Geld. Hinzu käme der steigende Energie- und Kraftstoffaufwand von Pfluggeräten, die nicht im Sinne der GRÜNEN sein könnten. Zudem habe die Landwirtschaft umfangreiche Maßnahmen für Umweltschutz unternommen, zum Beispiel in Verbindung mit EU-Greening-Programmen. Auch arbeite der Bauernverband eng mit sächsischen Imkern zusammen, es gäbe einen eigenen Landesarbeitsverband dafür, um Landwirte auf dem Gebiet zu sensibilisieren. Aufgehoben werde die Wirkung dieser Maßnahmen durch immer genauere Analysemethoden. Anstatt die Bemühungen der Landwirte anzuerkennen, würden sie an den Pranger gestellt.

Dem entgegnete Wolfram Günther, dass EU-Klima und -Umweltprogramme (trotz bürokratischer Hürden) und Ausgleichsmaßnahmen (Greening) wichtig seien, aber nicht ausreichen, um den Trend beim Rückgang der Arten und der Bestände umzukehren, wie die Entwicklungen zeigen. Es brauche auch Maßnahmen auf der gesamten Fläche. Ferner könne man eine kleinen Fraktion wie die GRÜNEN nicht für das Regierungshandeln im Land in Haftung nehmen. GRÜNE haben eh und je eine konsequente Haltung gegenüber Glyphosat vertreten. Nun gehe es darum, gemeinsam neue Wege zu finden, um Umwelt und Landwirtschaft in Einklang zu bringen. Grundlage dafür sei beispielsweise ein 5-Punkte-Programm zur Verbesserung guter fachlicher Praxis, dass das Umweltbundesamt unlängst veröffentlicht hat. Auch Tomas Brückmann betonte, dass es eines integrierten Landbaus bedürfe, weil Agrarumweltmaßnahmen offensichtlich nicht wirkungsvoll genug sind.

Mit Verweis auf einen Antrag für Einsatzbeschränkungen von Glyphosat in Sachsen von GRÜNEN gemeinsam mit LINKEN im Sächsischen Landtag  fragte Volkmar Zschocke nach Handlungsoptionen auf verschiedenen politischen Ebenen. Wolfram Günther zählte eine Reihe von GRÜNEN Vorschlägen für Sachsen auf: Zunächst sei es essentiell, das Wissen zu verbreitern, indem Rückstände von Glyphosat systematisch untersucht werden. Einen ersten Aufschlag dazu hat die Landtagsfraktion bereits mit einer eigenen Gewässerstudie unternommen. Nur wenn Ursachen und Verursacher identifiziert werden, könne man mit konkreten Maßnahmen zur Reduzierung, insbesondere in Gewässernähe, durch verstärkte Beratung und Überwachung durch das Landesamt für Umwelt und Gesundheit (LfUG) und durch Sensibilisierungsprogramme reagieren. Brandenburg habe gezeigt, dass intensivere Beratungen zur Verringerung von Glyphosatrückständen führen können. Außerdem müssten Naturschutzgebiete stärker in den Blick genommen werden, ebenso wie die eigenen Bewirtschaftungspraxis des Landes auf eigenen Flächen.

2017-10-17 VA Glyphosat Wittgensdorf (12)GRÜNEN-Stadtrat Thomas Lehmann betonte zunächst das kommunale Engagement in Chemnitz für eine Reduzierung von Glyphosat und einen nachhaltige Landschaftsbewirtschaftung, maßgeblich mit vorangetrieben durch die Chemnitzer GRÜNEN. So verzichtet die Stadt auf eigenen Flächen weitestgehend auf Glyphosat. Chmnitzer Wälder sind ESC-zertifiziert. Ziel sei es zukünftig auch bei der Vergabe von Neupachtverträgen der Stadt, einen Verzicht auf Glyphosat zur Bedingung zu machen. Als Ökobauer fragte er die Vertreter des Bauernverbands, was er gegen die Verunreinigung seiner Landwirtschaft durch andere tun kann. Dem entgegnete Manfred Uhlemann, man müsse miteinander reden. Im übrigen kämen auch Beschwerden von konventionellen Bauern in seinem Verband über die Beeinträchigung durch Ökolandwirte, beispielsweise wegen Unkraut. Tomas Brückmann ergänzte, dass es kaum rechtliche Möglichkeiten gäbe, solange kein Nachweis für eine unsachgemäße Anwendung vorliege. Dafür bedürfe es einer klareren Regelung auf Bundesebene.

Vorstandsvorsitzender des Wirtschaftshofs Sachsenland Jens Hoffmann verwies auf den massiven Glyphosateinsatz der Deutschen Bahn, die auch als Urheber für Rückstände in Gewässern berücksichtigt werden müssten. Tomas Brückmann erklärte, dass gerade in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Kleingewässern von großer Bedeutung sei, weil dadurch leichter Rückschlüsse auf Verursacher zu ziehen seien, als durch die sogenannten „diffusen Einträge“ in Fließgewässer, bei denen die Ursache nicht feststellbar ist.

Die Wortmeldung einer Frau aus Adelsberg bezog sich auf Glyphosatanwendungen in unmittelbarer Nähe ihres Kleingartens, der im Landschaftsschutz- und Wassereinzugsgebiet liegt. „Ist das Sprühen hier erlaubt?“ Laut Bauernverbandsvertreter Andreas Jahnel gibt es zwar keine Auflagen für Landschaftsschutzgebiete, jedoch für Wassereinzugsgebiete. Auf die Anfrage eines Bürgers aus Euba, welche Abstandsvorschriften für das Aufbringen von Glyphosat gelten, erklärte Tomas Brückmann, dass unterschieldiche Vorschriften für unterschiedliche Mittel und Kulturen gelten, die schwer durchschaubar und aufgrund von landwirtschaftlichen Zyklen auch schwer einzuhalten seien. Konkrete Informationen gäbe es beim örtlichen Pflanzenschutzdienst. Auskunft über Kontaktadressen zu zuständige Behörden stellte Volkmar Zschocke den Fragestellenden in Aussicht.

Gegen den Vorwurf, die Landwirtschaft an den Pranger zu stellen, aber auch gegen ein „Weiter so!“ sprach sich der Chemnitzer Naturschützer Uli Schuster aus. Auch die Fördermittelpraxis in der Landwirtschaftspolitik sei zu hinterfragen.

Auf die geringe Menge von Glyphosat, die in der Landwirtschaft bei Einhaltung der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft aufgewendet wird, wies ein Mitarbeiter des Wirtschaftshofs Sachsenland hin. Natürlich wären Glyphosatreste in Umwelt und Mensch nachweisbar. Die Frage sei nur, in welchen Mengen. Mit heutiger Analyseverfahren könne selbst ein Zuckerwürfel im Bodensee nachgewiesen werden. Demgegenüber stünden unabschätzbare Folgen eines Glyphosatverbots durch den massiven Anstieg von Importen aus Russland und den USA an landwirtschaftlichen Erzeugnissen, deren Qualität zweifelhaft sei. Deshalb würde ein Ausstieg nicht funktionieren. Anstelle über ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln solle in der Politik über die Einführung von Zöllen diskutiert werden. „Es geht viel mehr als man denkt!“ lautete die Rückmeldung von Wolfram Günther auf dieses Statement. Jede Veränderung sei schwierig für die langfristige Planung von Betrieben, aber Erfahrungen – zum Beispiel die positiven Entwicklungen bei der Kennzeichnung von Milch und Eiern – zeigen, dass vieles funktioniert. Ferner hinke der Vergleich mit dem Zuckerwürfel, da in der GRÜNEN-Gewässerstudie echte Grenzwertüberschreigungen festgestellt wurden. GRÜNEN-Stadtrat Bernhard Herrmann, ebenfalls Gast der Veranstaltung, unterstützte diese Position und bat um Sachlichkeit in der Debatte.

2017-10-17 VA Glyphosat Wittgensdorf (10)Volkmar Zschocke bat die Podiumsteilnehmer in ihren Schlussstatements auf die Frage einzugehen, wie ein gutes Bündnis von Landwirtschaft, Politik und Verbraucherinnen und Verbrauchern zu organisieren sei. Manfred Uhlemann betonte dabei die Verantwortung der Konsumentinnen und Konsumenten, die einerseits höchste Qualität einfordern und andererseits die billigsten Produkte einkaufen. Eine Zusammenarbeit mit dem Bauernverband gäbe es nicht mit Partnern, die alternativlos ein Glyphosat-Verbot fordern und damit verantwortungslos gegenüber der Landwirtschaft handelten. Tomas Brückmann appellierte, Alternativen, die es gäbe, ernst zu nehmen und sich zu treffen um darüber zu reden. Auch Wolfram Günther sprach sich dafür aus, miteinander zu reden und sich gegenseitig zuzuhören. Grundlage dafür sei ein echter Wille zur Trendwende. Dann könne man in einem permanenten Prozess der Kommunikation konkrete Zahlen für eine Reduzierung von Glyphosat vereinbaren und kleine und große Schritte auf mehreren Ebenen einschließlich Förderprogrammen gemeinsam erarbeiten und gehen.

 

Hintergrund:
Seit Ende des Jahres 2016 steht das GRÜNE-Regionalbüro von Volkmar Zschocke in Chemnitz in Kontakt mit Anwohnerinnen und Anwohnern aus Wittgensdorf, die sich hilfesuchend an die Chemnitzer GRÜNEN gewendet hatten. Anlass war deren Besorgnis über die Glyphosatanwendungen des Wirtschaftshofs Sachsenland eG auf den an Grundstücke angrenzenden Äckern. Die Freie Presse berichtete darüber am 29.09.2017. Auf der Grundlage einer Kleinen Anfrage im Landtag zur Problematik und im Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsbetrieb Wirtschaftshof Sachsenland lud der Chemnitzer Landtagsabgeordnete schließlich am 8. Mai 2017 zu einer Dialogveranstaltungmit dem Sachsenland-Vorsitzenden Jens Hoffmann und interessierten Bürgerinnen und Bürgern ein. Dabei ging es zunächst nicht um die Grundsatzfrage der gesundheitlichen und ökologischen Risiken von Glyphosat, sondern um die Anwendungspraxis vor Ort und mögliche Wege für ein gutes Miteinander von Landwirtschaft und Anwohnerinnen und Anwohnern. Aufgrund des großen Interesses der Veranstaltungsgäste an allgemeinen Informationen und Diskussionen über das Pflanzenschutzmittel kündigte Volkmar Zschocke eine weitere Veranstaltung zum Thema an. Vor dem Hintergrund der Mitte Dezember 2017 auslaufenden EU-Zulassung von Glyphosat gewinnt das Thema zum Ende des Jahres an Aktualität. Der EU liegen mehr als 1 Millionen Unterschriften der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gegen eine Verlängerung der Zulassung vor.

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