Landesentwicklungsbericht 2015 − Günther: Ein ‚unglücklicher‘ Zwischenbericht, der häufig nur benennt, was im vorher in Kraft getretenen Landesentwicklungsplan 2013 an Zielen steht

Rede des Abgeordneten Wolfram Günther zur Unterrichtung durch das Sächsische Innenministerium: „Landesentwicklungsbericht 2015“
58. Sitzung des Sächsischen Landtags, 30. August, TOP 11, Drs. 6/7728

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– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Frau Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete,

lassen Sie mich zunächst loben, was lobenswert ist:
Der Bericht ist sehr gut strukturiert und liest sich dank seiner Übersichtlichkeit sehr verständlich. Allerdings ist er so völlig anders aufgebaut als sein Vorgängerbericht 2010, dass ein unmittelbarer Vergleich unmöglich ist. Große Entwicklungen können so nicht nachvollzogen werden. Es wäre wünschenswert, wenn sich der nächste Landesentwicklungsbericht 2020 an die jetzt etablierte Gliederung halten würde.

Allerdings ist der Landesentwicklungsbericht 2015 was die Datengrundlage angeht leider recht unaktuell, da relevante Daten für das Jahr 2014 zum Berichtszeitraum nicht zur Verfügung standen. Das bedeutet, wir beschäftigen uns heute im Plenum mit einem Bericht, der auf Daten fußt, die im aktuellsten Fall bereits drei Jahre alt sind.

Und was der Landesentwicklungsbericht überhaupt nicht leisten kann, ist eine Evaluation der in den Landesentwicklungsplänen festgesetzten Ziele. Wurden sie erreicht bzw. kamen die dort verankerten Maßnahmen zur Umsetzung?
Den letzten aktuell gültigen Landesentwicklungsplan von 2013 konnte der vorliegende Bericht noch nicht evaluieren, der LEP von 2003 ist wiederum deutlich überholt. Kurzum, es ist eher ein unglücklicher Zwischenbericht, der häufig nur nochmals benennt, was im vorher frisch in Kraft getretenen LEP an Zielen steht. Und wer des genauen Lesens mächtig ist, kann die drei großen Fehlstellen im LEP 2013 deutlich auch im Landesentwicklungsbericht 2015 wieder erkennen.

Die Megatrends der Raumentwicklung der kommenden Jahre werden nicht in ihrer umfassenden Dimension und Wirkung behandelt.

Da wäre zum Einen das Thema des „Klimawandels“, der nur beiläufig und am Rande erwähnt wird. Es finden sich nur kleine Schwerpunkte, die umfassende globale Dimension fehlt. Dieser Trend hat allerdings ganz entscheidende Auswirkungen auf Sachsen, von der Waldentwicklung, dem Hochwasserschutz, den mikroklimatischen Entwicklungen bis hin zur Landwirtschaft.

Zum Zweiten fehlt schon im LEP und dann natürlich auch im Landesentwicklungsbericht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Flächenverbrauch. Zwar wird als Grundsatz festgehalten, dass die Neuinanspruchnahme von Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke vermindert werden soll. Konkrete Ziele werden allerdings nicht formuliert. Jede Zahl als Ziel wird peinlich vermieden. Nur in der Begründung des Landesentwicklungsplanes heißt es an einer Stelle, dass bis 2020 die Flächeninanspruchnahme von 8,2 Hektar pro Tag auf unter 2 Hektar geführt werden soll. Nun, Sie merken es selbst, da dies bewusst nicht bei den Zielen formuliert ist, hat es auch keinerlei Verbindlichkeit.
Dabei ist der Flächenverbrauch eines der drängendsten Probleme mit erheblichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen und muss angegangen werden.

Die anhaltende Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsfläche und die damit einhergehende Flächenneuinanspruchnahme ist völlig losgekoppelt von der Einwohnerentwicklung.
Ich darf Sie daran erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir bei sinkender Einwohnerzahl permanent neu versiegeln. Täglich!

Die Landwirtschaftsfläche in Sachsen ist seit dem Jahr 2000 um 23.000 Hektar zurückgegangen. Die Hauptursache für den Flächenverlust in den letzten 15 Jahren liegt vor allem in der Ausweitung der Verkehrsflächen sowie Bau- und Gewerbegebieten.
Der Höhepunkt der Flächeninanspruchnahme war laut Aussagen des sächsischen Umweltministers im Jahr 2007 erreicht. Damals wurden täglich 11,2 Hektar Flächen neu in Anspruch genommen. Wir GRÜNEN wollen den fortschreitenden Verbrauch von Flächen für eine neue Bebauung von vornherein begrenzen. Aus unserer Sicht muss der Flächenneuverbrauch bis 2020 auf nahe Null verringert werden.
Dafür wäre ein Entsiegelungsprogramm nötig. Neuversiegelungen müssen mit Entsiegelungen einer gleich großen Fläche in gleichartiger Umgebung gekoppelt werden. Dies geschieht bisher kaum. Bislang sind die Kompensationen oft wahllos und verstreut. Zudem wird die Umsetzung von Entsiegelung schlecht kontrolliert. Auch der Landesentwicklungsbericht bleibt hier zahnlos.
Hier fehlen Ziele, klare Zukunftsszenarien, Handlungsoptionen, konkrete Einzelschritte, Maßnahmen und Richtlinien zur Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme und ein Leitfaden für ein vernünftiges Zielerfüllungscontrolling. Es ist also kurzgesagt nur heiße Luft und unverbindliches weiterwursteln.

Die im LEP festgeschriebenen Ziele im Bereich der Energiegewinnung sind vor dem Hintergrund der Ziele des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes völlig inaktuell. Im LEP wurde Braunkohle noch als bedeutendster heimischer Energieträger als Zielfeststellung benannt. Das ist absurd. Was soll ein Landesentwicklungsbericht mit solchen LEP-Vorgaben noch bewirken? Selbst die bereits vorhandenen Klima- und Energiekonzepte der Staatsregierung wurden nur in Ansätzen eingearbeitet. Die Minimierung des Energieverbrauchs? Kein Thema. Zielvorstellungen und Grundsätze für die in Sachsen so wichtige Solarthermie- und Photovoltaikbranche fehlen gänzlich. Was soll auf so einer Grundlage evaluiert werden? Das Festhalten von CDU und SPD an der Steinzeit?

Im Verkehrsbereich sieht es nicht besser aus. Im Landesentwicklungsbericht wird blumig über die Bedeutung von Rad- und Fußverkehr geschrieben, auch die Bedeutung des ÖPNV wird gelobt.
Aber welche aktuelle Entwicklung könnte denn evaluiert werden? Zielvorgaben zur Steigerung des Modal Split Anteils bei den Verkehrsarten im Umweltverbund hat diese Staatsregierung in keinster Weise. Im Landesentwicklungsplan wurden zwar mit Begeisterung detaillierte Aus- und Neubauvorhaben von Straßen festgelegt. Die gleiche Begeisterung fehlt bei Rad, Bahn- und Fußverkehr jedoch. Die Staatsregierung geht im LEP beim Modal Split von einem insgesamt steigenden Autoverkehrsanteil bei kaum steigendem Öffentlichen Personennahverkehr und sinkendem Anteil an Rad- und Fußverkehr aus. Das nimmt sie als gottgegeben hin. Diese Zahlen sind angesichts der bekannten Untersuchungen der TU Dresden (fortlaufende Untersuchungen Mobilität in Städten − System repräsentativer Verkehrsverhaltensbefragungen (SrV)) mit steigenden ÖPNV- und Radverkehrszahlen sowie angesichts aktueller Trends – insbesondere der anhaltend hohen Benzinpreise und des sich verändernden Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung – nicht nachvollziehbar.

Eine völlige Leerstelle bleiben auch die Umlandbeziehungen rund um die Ballungszentren. Gerade hier wären doch Taktverdichtungen und Ausbaumaßnahmen beim ÖPNV zwingend als Bestandteil einer vorausschauenden Regionalplanung nötig. Anstelle von konkreten Straßenbauprojekten würde ich zu gern auch einmal Forderungen und Ziele wie die S-Bahn-Anbindung von Grimma im Landesentwicklungsplan und darauf aufbauend im Landesentwicklungsbericht lesen. Bei dieser Koalition wird dies wohl leider Wunschdenken bleiben.

Enttäuschung auch bei der Lektüre des Kapitels Freiraumschutz. Angaben zur Einrichtung eines großräumigen Biotopverbundsystems gemäß des Auftrages des neuen Bundesnaturschutzgesetzes fehlen völlig. Darüber hinaus vermisse ich Zielvorgaben für landesweit bedeutsame Biotopverbundkorridore. Konkrete Ziele und Maßnahmen zur Verbesserung des Artenschutzes scheinen in Sachsen Teufelszeug zu bleiben.

Ganz grundsätzlich, wird sowohl im LEP als auch im vorliegenden Landesentwicklungsbericht kaum auf länderübergreifende Zusammenarbeit oder interkommunale Kooperationen eingegangen.

Da die Leerstellen in den skizzierten Bereichen so dermaßen groß sind, sollten wir über die Notwendigkeit von Ergänzungsberichten nachdenken.

Aber auch im nächsten Landesentwicklungsbericht 2020 wird es schwer möglich sein, die Ziele des aktuellen LEP zu bewerten und zu evaluieren. Zeit wird dann genug ins Land gegangen sein. Allein, viele Ziele im LEP sind viel zu allgemein gehalten und nebulös. An Bewertungskriterien fehlt es völlig. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, sehr geehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, dass ist Ihnen im Grunde aber ganz Recht.

Ich kann nur hoffen, dass es gelingt, im nächsten LEP und im nächsten LEB vorausschauende Regionalplanungsgrundsätze mit konkreten Zielen untersetzt zu veranken.
Dringend nötig wäre es – gerade in Sachsen.

 

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