So verschieden wie die Geschmäcker waren am 5. April die Podiumsgäste bei der Veranstaltung „Aus der Region auf den Tisch – Regionalität statt Lebensmittel vom anderen Ende der Welt“ der GRÜNEN-Landtagsfraktion im Leipziger Tapetenwerk. Mit ihnen sprach Wolfram Günther, agrarpolitischer Sprecher der GRÜNEN-Landtagsfraktion, über die vielfältigen Möglichkeiten der Vermarktung von und der Versorgung mit regionalen Lebensmitteln. Denn laut Günther ist Regionalvermarktung eine „win-win-Situation“. Es profitieren sowohl Verbraucher als auch Erzeuger von regionalen Wirtschaftskreisläufen. Für die Verbraucher zählt die Transparenz durch Nähe zum Erzeuger, die eine gute Qualität befördert. Für die Erzeuger sind bessere Preise zu erzielen, wenn sie nicht dem ruinösen Preiskampf der Discounter ausgesetzt sind und ihre Kunden direkt beliefern können.
Zu den Podiumsgästen gehörte Thomas Rößner, Agrarprodukte Kitzen eG, einer Genossenschaft, die im Südraum von Leipzig 3.300 Hektar Fläche bewirtschaftet, rund 800 Milchkühe hält und Schweine züchtet. Aufsehen erregte der Betrieb mit einem Milchautomat, an dem man sich die frische Milch vom Hof selbst „zapfen“ kann.
Anders als ein klassischer landwirtschaftlicher Betrieb funktioniert die Gemüsekooperative Rote Beete. Christine Hubenthal erläuterte ihr Konzept: Lebensmittel seien ein hohes Gut, das nicht nur ökologisch und regional erzeugt, sondern auch in einer Atmosphäre des Vertrauens und der Solidarität produziert und verteilt werden soll. Durch bedürfnisorientierten Anbau und eine selbstbestimmte Arbeit je nach Fähigkeiten sollen erste Schritte hin zu mehr Ernährungsautonomie gegangen werden. Dahinter steckt mehr als ein alternatives Betriebskonzept. Die Akteure wollen zeigen, dass eine selbst organisierte nicht-industrialisierte Landwirtschaft auf solidarische Art und Weise machbar ist. Auf fünf Hektar Land wird vor allem Gemüse für den Eigenverbrauch der Mitglieder angebaut. Das Risiko schlechter Ernten tragen alle gemeinsam. Schon vor dem Anbau wird errechnet, wie viel Geld benötigt wird. Dieses wird anteilig von allen Beteiligten bezahlt. Von Preisschwankungen am freien Markt ist die Kooperative so unabhängig.
Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt die Versorgungsgemeinschaft Sterngartenodyssee mit Standorten in Leipzig, Berlin, Halle und Potsdam. Deren Vertreter Sebastian Gerstenhöfer erklärte, dass zwar schon partielle Selbstversorgung möglich ist, aber erst durch die Kooperation mehrerer Projekte solidarischer Landwirtschaft Selbstversorgung machbar ist. Er ist davon überzeugt, dass daraus ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell entsteht, was Kooperativen z.B. in Lateinamerika bereits eindrucksvoll beweisen.
Für Urte Grauwinkel, Initiatorin der ersten Food Assembly in Leipzig, steht fest: Konsumenten und Erzeuger wollen miteinander in Kontakt treten. Bei Food Assembly, einem Online-Einkaufsportal für regionale Lebensmittel, bestellen und bezahlen die Kunden via Internet. Die Waren kann man sich dann jede Woche frisch auf einem lokalen Markt abholen. Bauern und Lebensmittelhandwerker sind dort selbst anwesend, so dass sich Hersteller und Käufer die sprichwörtliche Hand geben können.
Zu den größeren Einzelhändlern zählt zweifellos die Konsumgenossenschaft Leipzig eG mit 68 Filialen, in denen 950 Mitarbeiter beschäftigt sind. Vorstand Michael Faupel zählte das Engagement für regionale Erzeuger zu den wichtigsten Unternehmenszielen. Doch der Konsum benötigt hohe Mindestmengen, entsprechend deklariert, und auch die Lieferstabilität muss garantiert sein, wenn man beim Konsum gelistet werden möchte. An diesen Hürden scheitern kleine Erzeuger häufig, so dass bisher nur zehn Prozent des Umsatzes mit lokalen Herstellern realisiert werden können.
In der Diskussion, zu der auch zahlreiche Landwirte aus der Region gekommen waren, wurde eines deutlich: Erfolg braucht innovative Ideen, braucht das sprichwörtliche „Um-die-Ecke-Denken“ und den Mut, Neues auszuprobieren. Dazu sind auch konventionelle Betriebe bereit, baten aber gleichzeitig um Verständnis, dass dies nicht von heute auf morgen, sondern nur in kleinen Schritten gelingen kann. Thomas Rößner von der Agrarprodukte Kitzen eG brachte es auf den Punkt: „Nach der Wende wurde den Bauern abtrainiert, ihre Produkte selbst zu veredeln und zu vermarkten. Viele Betriebe haben nun gar keine Produkte mehr, die sie direkt dem Kunden anbieten könnten.“ Doch wenn der Bauer zum Rohstofflieferant wird, der seine Produkte an Weiterverarbeiter und Zwischenhändler liefert, kann er kaum Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen. Die aktuelle Preiskrise in der Landwirtschaft zeigt, wer die Leidtragenden des Preisdumpings sind. Gelänge es den Landwirten, den direkten Kontakt zum Endkunden wieder herzustellen, stiege die Wertschätzung für ihre Erzeugnisse und viele Verbraucherinnen und Verbraucher wären bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen. Doch bevor es soweit ist, müssen erst die entsprechenden Strukturen geschaffen werden. Food Assembly ist ein Beispiel, weitere müssen folgen. (mh)
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