Redebeitrag des Abgeordneten Wolfram Günther zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
„Verbot der Tötung überzähliger und unerwünschter Jungtiere“ (Drs. 6/701)
10. Sitzung des Sächsischen Landtags, 12. März 2015, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
unser Antrag ist notwendig, weil Sachsen in Sachen Tierschutz ein Entwicklungsland geblieben ist, obwohl dieser sowohl im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Verfassung des Freistaates Sachsen verankert ist. Im Tierschutzgesetz steht darüber hinaus, dass ein Tier nicht ‚ohne vernünftigen Grund‘ getötet werden darf. Wird eine Tötung notwendig, so ist diese unter Vermeidung von Schmerzen durch sachkundige Personen auszuführen.
a) Trotz dieser Regelungen werden in Deutschland Jahr für Jahr rund 50 Millionen Küken nach ihrer Geburt aus rein wirtschaftlichen Gründen getötet. Es handelt sich um die männlichen Küken von Legehühnern. Sie sind wirtschaftlich uninteressant, da sie keine Eier legen und für die Mast nicht taugen.
b) Auch in der sog. Ferkelproduktion werden Jungtiere aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus getötet. Die Ferkel sterben nicht, weil sie krank wären, sondern weil sie zu viele sind. Überzüchtete Sauen bringen mehr Jungtiere zur Welt, als sie ernähren können. Statt sich die Mühe zu machen, die lebensfähigen Jungtiere aufzuziehen, werden die schwächeren und überzähligen Tiere auch in sächsischen Betrieben durch Schläge an die Wand, auf den Boden oder gegen die Boxenkante getötet.
c) Selbst bei der Zucht von Geflügel, Kaninchen, sonstigen Kleintieren, Katzen und insbesondere Hunden spielt in Züchterkreisen die Zuchtunwürdigkeit einzelner Tiere aufgrund ihrer materiellen Wertlosigkeit sowie die Tötung überzähliger Jungtiere bis heute eine Rolle. Solange als Zuchtziel die Herausstellung oft nicht objektiv definierter Standardmerkmale gilt, wie rassische Schönheit, festgelegte Farben oder Farb- und Fleckvarianten, erfolgt der Zuchtausschluss u. a. bei Fehlfarbe und anderen Fehlern, die gemäß Standard zur Disqualifikation führen. Obwohl in den meisten Zuchtordnungen Vorgaben zur Tötung von Tieren nicht mehr zu finden sind, erfolgt die Eliminierung unpassender oder auch überzähliger Jungtiere durchaus mit beträchtlicher Dunkelziffer weiter.
Diese tierquälerischen Praktiken haben in anderen Bundesländern dazu geführt, dass Landesregierungen aktiv geworden sind und sich eindeutig positioniert haben.
Per Erlass forderte das Landwirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen bereits 2013 die zuständigen Ordnungsbehörden auf, die Tötung männlicher Küken aus Legelinien im Wege einer Ordnungsverfügung zu untersagen. Zwar hat das Verwaltungsgericht Minden jetzt entschieden, dass der Erlass ungültig sei. In der Urteilsbegründung hieß es, dass es in der Massentierhaltung für die Tötung keine praxistaugliche Alternative geben würde. Auch bedürfe es den Richtern zufolge einer Ermächtigungsgrundlage, die es „bisher im geltenden Tierschutzgesetz nicht gibt“. Dort steht, dass Tiere nur mit vernünftigem Grund getötet werden dürfen. Das Gericht sah den „vernünftigen Tötungsgrund“ für Tiere in der wirtschaftlichen Alternativlosigkeit des Verfahrens. Die angeführten alternativen Möglichkeiten (Geschlechts-bestimmung im Ei, Züchtung eines „Zweinutzungshuhns“, Vermarktung der männlichen Tiere) seien für die Massentierhaltung keine praxistauglichen Verfahren. Ob demgegenüber eine gewandelte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes aus Art. 20a GG überwiege, bedürfe einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers. Weil auch das Gericht sah, dass der Rechtsstreit an dieser Stelle von „grundsätzlicher Bedeutung“ sei, eröffnete es der Landesregierung die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. NRW hat bereits angekündigt, diesen Weg zu gehen.
Wie das Gerichtsurteil zeigt, können länderspezifische Initiativen allein keine dauerhafte Lösung des Problems sein. Deshalb lautet eine Kernforderung unseres Antrages, die Staatsregierung möge sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass das Töten überzähliger und unerwünschter Jungtiere bundesweit auf gesetzlicher Grundlage verboten wird – und zwar so schnell wie irgend möglich. Dabei ist es unwesentlich bzw. sogar von Vorteil, dass im Freistaat nach Aussage der Staatsregierung derzeit ausschließlich Küken der Mastrassen erbrütet werden.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat mittlerweile zwar angekündigt, „noch vor Ostern einen realistischen Zeitplan zum Ausstieg aus der Kükentötung vorlegen“ zu wollen. Wir meinen jedoch: Die Tötung männlicher Küken aus Gründen der Gewinnmaximierung ist ein so eklatanter Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, dass es nicht darum gehen darf, Ausstiegsfristen zu verhandeln. Stattdessen muss es ein sofortiges Verbot geben!
Im Falle der Ferkeltötungen reagierte das niedersächsische Landwirtschaftsministerium unter Christian Meyer prompt mit einem „Nottötungs-Erlass für Ferkel“, der es zukünftig untersagt, überzählige Jungtiere zu töten, und Kriterien auferlegt, wie mit ihnen tierschutzgerecht umzugehen ist. Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen-Anhalt haben diese Vorgabe bereits übernommen und in weiteren Bundesländern ist die Diskussion in vollem Gange. Hermann Aeikens, Agrarminister Sachsen-Anhalts, machte deutlich, dass bei vielen Bauern noch Nachholbedarf besteht, was die zulässige und tierschutzgerechte Tötung von Ferkeln betrifft. Gegen drei Betriebe, den Branchenriesen Straathof, das Gut Losten und die Saza GmbH, wurden Ermittlungen eingeleitet, die in Betriebsschließungen mündeten.
Die sächsische Staatsregierung verhält sich hingegen nach dem Prinzip der drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen, und übernimmt im Zweifelsfall die Argumentationsvorlagen des Sächsischen Bauernverbandes. Wozu das führt, hat Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt kürzlich gezeigt. Ich zitiere aus seiner Rede vom 28.1.15 in der Aktuellen Debatte „Landwirtschaft für alle – zukunftsfähig und nachhaltig“:
„Das Thema wird häufig emotional diskutiert. Dabei sollten wir auf Fakten stützen, nicht auf Vorurteile […] Wir können nicht von der Landwirtschaft Produktionsweisen wie vor hundert Jahren verlangen, nur um die romantischen Vorstellungen heutiger Großstadtbewohner zu befriedigen.“
Der ehemalige Vorstand des Sächsischen Landesbauernverbandes verunglimpft damit sämtliche Verbraucher – übrigens auch im ländlichen Raum – die sich gegen die Auswüchse der industriellen Tierhaltung wehren und erklärt sie zu romantisierenden Spinnern. Gleichzeitig tut er so als seien die heutigen Produktionsmethoden ein für die Ewigkeit zementiertes Naturgesetz.
Sehr geehrter Herr Staatsminister,
wir sprechen hier über den Umgang mit Lebewesen! Ist das nicht Grund genug, Emotionen zuzulassen? Wann, wenn nicht im Zusammenhang mit Qual und Tot von Lebewesen, darf ein Mensch denn Emotionen äußern? Es stimmt mich nachdenklich, dass selbst die erschütternden Fernsehbilder von gequälten Nutztieren (u.a. aus Ställen im Vogtland und Nordsachsen) nicht dazu geführt haben, dass Sie sich etwas differenzierter mit diesem Thema auseinandersetzen.
Mit Ihren Äußerungen erweisen sie den Bäuerinnen und Bauern einen Bärendienst. Allen voran denen, die in nachhaltige, am Tierwohl orientierte Haltungsbedingungen investieren. Es wäre klüger, die Verbraucherinnen und Verbraucher ernst zu nehmen. Sie bestimmen mit ihren Kaufentscheidungen die Zukunft sächsischer Landwirtschaftsbetriebe mit. Außerdem – und auch das sollten sie nicht vergessen – sprechen Sie über Steuerzahler, die ein Recht darauf haben, dass ihr Geld nicht zur Förderung neuer Massentierhaltungsanlagen verwendet wird.
Die von der Bundesregierung veranlasste „Tierwohl-Offensive“ führt in absehbarer Zeit nicht zu mehr verbindlichem Tierschutz. Sie ist vielmehr der Rückzug auf weitere Willensbekundungen für die kommenden Jahre. Deshalb ist es notwendig, dass der Freistaat Sachsen sich im Bund um ein beschleunigtes Verfahren für mehr konkreten Tierschutz bemüht. Auf Landesebene sollen sämtliche Möglichkeiten genutzt werden, um dem Staatsziel Tierschutz Geltung zu verschaffen.
Wir Grüne verlangen, dass sich Verbraucherschutzministerin Barbara Klepsch und Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt gemeinsam um die Beseitigung der unhaltbaren Missstände in der Tierproduktion kümmern. Bis die Tötung von überzähligen und unerwünschten Jungtieren spezieller Arten auf Bundesebene verboten wird, muss Sachsen dies, wo möglich, per Verwaltungsvorschrift zur Anwendung des Tierschutzgesetzes (TierSchG) untersagen.
Nehmen Sie sich ein Beispiel an Bundesländern wie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt! Die machen es vor. Vielen Dank!
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