Redebeitrag des Abgeordneten Wolfram Günther zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
„Keine weiteren Staustufen in der Elbe“
20. Sitzung des Sächsischen Landtags, 17. September 2015, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Warum dieser Antrag? Warum interessieren wir uns als GRÜNE für den Schutz der Elbe? Welche Probleme haben wir mit einem weiteren Ausbau und auch mit Staustufen? Vielleicht muss man erst einmal die Gesamtbedeutung der Elbe für Sachsen in den Fokus nehmen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts sind in ganz Europa und vor allem in Deutschland alle großen Ströme nach und nach zu Wasserstraßen ausgebaut worden. Sie sind kanalisiert und genutzt worden, mit all den bekannten Folgen. Es ist zum Beispiel kein Raum mehr für Hochwasserschutz vorhanden oder die Auen sind verschwunden. Die Elbe stellt eine europäische Besonderheit dar. Sie ist der einzige dieser großen Ströme, der nach wie vor auf 600 Kilometern Länge zwischen Aussig in Böhmen bis Geesthacht kurz vor Hamburg frei fließen kann. Während etwa das Bundesamt für Naturschutz festgestellt hat, dass seit dem 19. Jahrhundert an allen großen Strömen nur noch 10 bis 20 Prozent der historischen Auenflächen verfügbar sind, hat auch hier die Elbe eine Besonderheit. In ihrem Umland ist noch viel unverbaut. Das ist ein Riesenpotenzial für den Hochwasserschutz und Stauräume, aber auch für den Naturschutz.
Die Elbe ist auch naturschutzfachlich ein besonderer Fall. Es hat sich die ökologische Dynamik mit Blick auf die verschiedenen Wasserstände und das Fließverhalten erhalten. Deswegen finden wir an der Elbe einen außerordentlich hohen naturschutzfachlichen Reichtum: nämlich über 1.000 Pflanzen, 250 Vogel und 40 Fischarten. Das hat dazu geführt, dass, als man die EU-Wasserrahmenrichtlinie festlegte, man nicht nur die Elbe als einzigen großen Strom, sondern auch als natürliches Gewässer qualifiziert hat.
Eine weitere Besonderheit ist, dass sich an der Elbe lückenlos Naturschutzgebiete verschiedenster Qualität aneinanderreihen. Diese fügen sich aufgrund verschiedener Überlagerungen fast lückenlos zu europäischen Schutzgebieten, FFH-Vogelschutzgebiete, zusammen. Das sind insgesamt 222 Schutzgebiete, die gezählt wurden. Die Elbe ist wirklich ein ökologischer Leuchtturm. Das gilt insbesondere für Sachsen. Das ist ein hohes Gut, das es aus unserer Sicht zu schützen gilt.
Welche Folgen hat es, wenn man an der Elbe weiter herumbaut und Entwicklungen nachholt, die man seit dem 19. Jahrhundert an anderen Strömen durchexerziert hat? Dazu muss man Folgendes wissen: Etwa die Hälfte aller Maßnahmen, die jährlich an der Elbe stattfinden, führen zu Soleerosionen. Es geht um Baggerarbeiten zur Vertiefung, damit der Fluss schiffbar bleibt. Dadurch wird der Fluss und das Wasser schneller und tiefer. Der Elbepegel zwischen Riesa und Magdeburg hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts schon um zwei Meter vertieft. Früher wurde eine Dränage gelegt, um diese trocken zu legen. Das ist auch die Wirkung an der Elbe. Es fehlt das Wasser rechts und links. Das hat Folgen für die Land- und Forstwirtschaft. Es hat eben auch Folgen für den Naturschutz, nämlich für die Auen, die wir dort noch haben. Sie sind zumindest reaktivierbar. Es hat aber auch für die Bauwerke an der Elbe Folgen. Sie wurden für andere Pegelstände gebaut. Es werden auch Brücken unterspült. Ebenso werden die Bauwerke, die die Schiffbarkeit erst ermöglichen sollen, wie die Buhnen, unterspült. Es stellt sich somit das Problem, dass man diese Bauwerke ständig unterhalten muss. Damit es nicht so schlimm ist, weil der Fluss vertieft wird, werden jährlich knapp 100.000 Tonnen Kies als Geschiebe hinzugegeben. Das ist mit hohen Kosten verbunden. Es hat aber offensichtlich relativ wenig Wirkung.
Jetzt droht ein neues Problem: der weitere Bau von Staustufen. Was würde das bedeuten? Das sind insbesondere Staustufen auf böhmischer Seite. Wenn eine Staustufe auf böhmischer Seite gebaut wird, die unmittelbar an ein FFH-Gebiet auf sächsischer Seite angrenzt, führt es erstens dazu, dass die Weichholzaue, die dort vorhanden ist, absäuft und damit nicht mehr vorhanden ist. Durch das Aufstauen sinken auch die Wassergüte und der Sauerstoffgehalt. Das führt zu einem erhöhten Algenwachstum. Die Elbe wird trüber, brauner und insgesamt schleimiger.
Auf tschechischer Seite wird aktuell der Bau einer Staustufe geplant, um auf 1,90 Meter zu kommen, auch wenn an der restlichen Elbe realistisch 1,20 Meter vorhanden sind. Dafür sollen rund 250 Millionen Euro ausgegeben werden. Es handelt sich größtenteils um EU-Geld. Das belangt uns, weil wir alle EU-Bürger sind.
Und es gibt einen deutlichen Widerspruch in der Politik der Staatsregierung/ Koalitionm der uns ebenfalls betrifft. Entweder ist man für eine Tiefe von 1,60 Meter, festgeschrieben z.B. im Landesverkehrsplan, oder gegen die Staustufen, wie es im Koalitonsvertrag heißt. Das ist ein Widerspruch in sich. 1,60 Meter an der Elbe ist ohne eine Kette von Staustufen schlichtweg nicht darstellbar. Es fehlt an Wasser.
Es geht uns GRÜNEN mit dem Antrag darum, dass wir das Ziel, unterhalb von Dresden 1,60 Meter an 345 Tagen im Jahr zu erreichen, aufgeben, weil es schlichtweg nicht möglich ist. Wir GRÜNEN erfinden das nicht. Das ist eine Aussage, die seit dem Jahr 2013 existiert. Das Bundesverkehrsministerium trägt regelmäßig vor, dass mehr als 1,20 Meter schlichtweg nicht vorhanden sind. Eine Erhöhung von 1,20 Meter auf 1,60 Meter schafft man nicht dadurch, dass ausgebaggert und ausgebaut wird. Einen tieferen Wasserstand erreicht man nur durch Staustufen. Das ist genau das Widersinnige an der aktuellen Politik: Ich kann nicht einerseits fordern, keine Staustufen zu bauen, und andererseits an einer Tiefe von 1,60 Meter festhalten. Es ist ein sinnloses Ziel, weil es in sich widersprüchlich ist.
Es hat aber konkrete Folgen, weil wir für dieses Phantomziel regelmäßig Millionen Euro am Rand der Elbe in den Sand setzen.
Kommen wir also auf die wirtschaftliche Bedeutung der Elbe zu sprechen und warum man an einer Tiefe von 1,60 Meter festhält. 85 Prozent der Binnenschifffahrt in Deutschland finden auf dem Rhein statt. Der Rest auf Kanälen und kanalisierten Flüssen wie Neckar, Main und Donau. Sie alle haben eine Mindestwassertiefe von 2,50 Meter.
Laut dem Bundesamt für Güterverkehr ist der Transport auf dem Fluss erst dann wirtschaftlich, wenn er dreilagig stattfindet. Das wären drei Container übereinander. Das setzt eine Mindestwassertiefe von zwei Metern voraus. Wir haben nur 1,60 Meter. Diese braucht man für zwei Lagen. Es ist aber nicht wirtschaftlich und sinnvoll. Man muss wissen, dass nicht nur der große Schifffahrtsverkehr an den anderen Flüssen stattfindet, wo wesentlich mehr Wasser vorhanden ist. Der Anteil der Elbe sinkt kontinuierlich weiter. Im Moment sind es deutschlandweit 0,2 Prozent, also nahezu irrelevant. Wir erleben gerade eine neue Abfolge neuer Tiefststände. Im Jahr 2013 waren es 0,8 Tonnen, 2014 waren es nur noch 0,4 Tonnen. Wie viel es in diesem Jahr nach den krassen Niedrigständen werden, werden wir noch sehen.
Kein GRÜNER fordert, dass kein Schifffahrtsverkehr mehr auf der Elbe stattfindet. Wir fordern aber, dass wir uns von dem Ziel 1,60 Meter Wassertiefe verabschieden. Und bitten sie dafür um Zustimmung. Es fährt im Prinzip schon jetzt keiner mehr auf der Elbe, und aus dem gesamten Elbekorridor, wenn man sich dies einmal anschaut, was dort transportiert wird, sind es auch nur 0,2 Prozent des Güterverkehrs. Wenn man sich anstrengt und die Tiefe erhöht und ganz viel investiert würde man das Frachtaufkommen verdoppeln, dann sind wir bei 0,4 Prozent. Das ist irrelevant für verkehrspolitische Fragen, insbesondere auch, weil ja immer angeführt wird, dass wir die Elbe brauchen, um den Verkehr von der Straße auf umweltfreundliche Verkehrsträger zu verlagern. Dort findet aber nichts statt.
Denn im Gegensatz zu all den anderen großen Flüssen in Deutschland ist die Elbe nun einmal ein Niedrigwasserfluss. Der Rhein hat das Dreifache an Wassermenge, und selbst bei Niedrigwasser sind es immer noch zwei Meter. Die Wasserstände an der Elbe sind auch nicht richtig vorhersehbar und berechenbar. Da haben wir das Problem für die Logistiker. Wenn man einen Fluss wählt, dann für eine sichere Logistik. Wenn man diese nicht planen kann, ist das das K.o.-Kriterium für jeden Logistiker. Das erklärt, warum dieser Gütertransport immer weiter zurückgeht.
Das Bundesverkehrsministerium sagt seit 2013, dass wir mehr als 1,20 Meter bis maximal 1,30 Meter an 345 Tagen im Jahr nicht gewährleisten können. Es wäre doch schön, wenn wir das auch gemeinsam in Sachsen festlegen könnten. Denn es gibt keinen Bedarf für mehr Ausbau. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Nachfrage immer weiter zurückgeht.
Wo kommen überhaupt diese Zahlen mit den 1,60 Meter her? Diese hat man sich Anfang der 90er Jahre ausgedacht. Dafür hat man sich die Zeit der 1970er bis 1980er Jahre angesehen. Das waren aber Zeiten eines extremen Wasserhochstandes an der Elbe, und es war insbesondere die Zeit, als man aus den ganzen Tagebauen ringsherum massiv Grundwasse zugeführt hat. Das ist aber seit Anfang der 90er Jahre in dem Umfang nicht mehr der Fall. Die Wassermenge ist seidem um circa zehn Prozent zurückgegangen. Das muss man zur Kenntnis nehmen, genauso wie die Tatsachse, dass es auch nie wieder mehr werden wird. Der Bund hat es schon lange eingesehen.
Man muss auch einsehen, dass es für die Elbe als Wasserstraße in dem ganzen Umfeld keinen wirtschaftlichen Bedarf mehr gibt, denn klassischer Flusstransport ist Massengüterverkehr. Das hat man am Rhein, an der Donau, am Neckar, überall, aber nicht an der Elbe. Da gibt es nicht die Unternehmen, die diesen Flusstransport brauchen.
Der Freistaat Sachsen ist stolzer Eigentümer der Sächsischen Binnenhäfen Oberelbe GmbH, die jährlich regelmäßig einen ca. sechsstelligen Verlust erwirtschaftet. An diesen sächsischen Häfen, die eigentlich Logistikzentren sind, gab es im letzten Jahr aktuell nur noch acht Prozent Umladungen auf das Schiff. Das ist ein Witz. Der Rest sind Lkw und Schiene. Und tendenziell fällt die Zahl der Umladungen weiter. Zum Vergleich: 2007 waren es immerhin noch 17 Prozent.
Die Zahlen zeigen, dass auf der Elbe faktisch kein Transport stattfindet, der irgendeine Relevanz hat. Gleichzeitig werden in die Elbe jährlich etwa 40 Millionen Euro investiert. Allein für die Fahrrinne fünf bis zehn Millionen Euro. Auch in die sächsischen Binnenhäfen wurden in den letzten Jahren über 30 Millionen Euro investiert.
Wir haben, das liegt noch nicht so lange zurück, einen Haushaltstitel in Höhe von 20 Millionen Euro für umweltfreundliche Verkehrsträger geschaffen. Davon soll ein Großteil wohl wieder in die Binnenschifffahrt gehen. Auf der anderen Seite muss ich feststellen, dass das Verkehrsaufkommen in einen Bereich zurückgeht, der für den Gesamtverkehr statistisch nicht mehr relevant ist. Selbst bei den Binnenhäfen haben nur noch acht Prozent von dem, was sie tun, mit Schiffahrt zu tun.
Wo kann man den Transport hin verlagern? Natürlich auf die Schiene. Täglich fahren zwischen Hamburg und Sachsen zehn Containerzüge. Die Menge, die auf dem Schiff transportiert wird, wenn transportiert wird, ist maximal ein Zug mehr. Das sind die Relationen. Dann kann man gut dort investieren und z.B. etwas für den Lärmschutz für die Trassenanlieger tun.
Das heißt nicht, dass man jemandem verbietet, dort mit einem Schiff zu fahren. Aber wir können es uns nicht leisten, ohne einen nennenswerten volkswirtschaftlichen Vorteil in der Elbe einen Haufen Steuergeld zu versenken. Darum geht es uns.
Nun kann man sagen, man kann ja Ziele irgendwo aufschreiben, auch wenn sie egal sind. Aber es gibt dieses Bonmot: Politik ist der Kontakt mit den Realitäten. Wenn man weiß, 1,20 Meter bis 1,30 Meter sind drin, dann kann man das auch mal realistisch erkennen und darauf die weiteren Planungen aufbauen.
Das Problem ist, dass dieses Nonsens-Ziel 1,60 Meter konkrete Auswirkungen hat. Deshalb investieren wir nämlich Jahr für Jahr Millionen dort in Dinge hinein und lassen gleichzeitig anderes nicht zu. Die Elbe hat ein hervorragendes Potenzial. Dort ist viel passiert, und ich möchte nicht den Zustand der Elbe aus dem Auge verlieren, wie er 1989/1990 war, und was seitdem passiert ist. Daran haben Sie auch einen Anteil.
Deshalb lade ich Sie als Koalition ein, weiterzumachen und zu sagen: Die Elbe ist ein Riesenpfund, das wir in Bezug auf Tourismus und Naturschutz haben, und das können wir heben. Denn die Schifffahrt, die wir immer hochgehalten haben, findet faktisch nicht mehr statt.
Das ist der Kontakt mit den Realitäten.
Ich lade Sie herzlich ein, bei all den Planungen — auch wenn es um den Landesentwicklungsplan und um Verkehrsplanung geht — einfach mal diese 1,60 Meter wegzulassen; denn sie stehen nur auf dem Papier, aber leider mit bösen Auswirkungen: Schäden an der Elbe, Arbeiten, die durchgeführt werden, und Verluste, die wir jährlich haben. Die SBO, unsere Binnenschifffahrtsgesellschaft, die uns gehört, die lauter Verluste erwirtschaftet, können wir einfach weglassen und das Geld für etwas anderes ausgeben.
Vor diesem Hintergrund lade ich Sie herzlich ein, unserem Antrag zuzustimmen.
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