Aktuelle Debatte Artensterben − Günther: Wir erreichen langsam eine Situation, dass sich bestimmte Arten nicht mehr erholen werden

Redebausteine des Abgeordneten Wolfram Günther in der 2. Aktuellen Debatte auf Antrag der GRÜNEN-Fraktion zum Thema: „Artensterben − wann folgt auf Wissen auch in Sachsen endlich Handeln?“
70. Sitzung des Sächsischen Landtags, Mittwoch, 25. April, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Wann folgt in Sachsen in Bezug auf das Artensterben auf Wissen endlich auch Handeln? Der Prozess des Artensterbens beschleunigt sich und schafft es mittlerweile relativ regelmäßig, in der Presse zu erscheinen. Diesem Thema kann sich also keiner mehr verschließen.
Es ist ein weltweites Thema. Der Weltbiodiversitätsrat, bei der UN angesiedelt, geht davon aus, dass bis zum Jahr 2100 etwa die Hälfte aller Vogel- und Säugetierarten verschwunden sein wird.

Es ist aber nicht nur ein weltweites Thema, sondern eben auch eines bei uns in Deutschland. Mittlerweile haben laut den in Deutschland geführten Roten Listen nur noch 45 %‚ also weniger als die Hälfte unserer Arten, keinen Gefährdungsstatus mehr. Das sind auch die Zahlen für Sachsen –  ich will sie gar nicht einzeln vorlesen.
Es gibt unterschiedliche Schwerpunkte. Nur ein Beispiel: Die Brutvogelarten, die Offenlandarten haben zu knapp 90 % einen Gefährdungsstatus.

Was wir auch feststellen: Wir haben zwar punktuelle Verbesserungen bei bestimmten Highlightarten, wie eben beim Seeadler oder beim Kranich, um die wir uns ganz intensiv kümmern, aber gleichzeitig beginnen wir, langsam unsere Allerweltsarten zu verlieren. Lange haben wir uns immer nur die Anzahl bei einzelne Arten angesehen. Jetzt gibt es eben auch einmal neuere Untersuchungen, die sich mit der Anzahl der Individuen auseinandersetzen. Da hat man festgestellt, dass in Deutschland zwischen 1998 und 2009 knapp 13 Millionen Brutpaare von Vögeln verschwunden sind. Das sind ungefähr 15 % des Bestandes in so kurzer Zeit. Darunter sind Allerweltsarten wie der Star, der 20 % davon ausmacht. Bei ihm gibt es in dieser Zeit einen Rückgang von 2,6 Millionen Brutpaaren. Das sind ungefähr 42 % seines Bestandes. Auf den Listen folgen Sperlingsarten, Feldlerchen, Goldammer. Das sind die Vögel, die früher ganz normal zu unserem Leben dazugehört haben.

Artensterben ist aber nicht nur Vogelsterben. Man kann das zum Beispiel auch bei den Amphibien zeigen. Ich will aber zu einer besonders wichtigen Gruppe kommen, zu den Insekten. Diese machen circa 70 % aller Arten aus. Man kann sagen, dass sie das Fundament unserer Tierwelt sind. Auch hier haben wir die Roten Listen deutschland- und sachsenweit für Ameisen, Wildbienen, Schmetterlings- und Falterarten. Das sind immer etwa 50 %, mal ist es mehr, mal ist es weniger
dramatisch. Aber die Aussage ist ganz klar: Auch in Sachsen sind 98 heimische Arten längst ausgestorben.

Der Rückgang betrifft nicht nur die Anzahl einzelner Arten. In der viel diskutierten Krefelder Studie vom letzten Jahr gab es endlich einmal Angaben zu Massen. Da wurde festgestellt, dass in knapp 30 Jahren in Deutschland circa drei Viertel der Insektenmasse verschwunden sind. Bei dieser Studie gibt es viel Kritik dazu, was und wie da ermittelt wurde. Am Anfang der Studie kam noch niemand auf die Idee, dass man solche dramatischen Ergebnisse haben würde. Es ist festzustellen, dass die
Messungen in Naturschutzgebieten und nicht außerhalb erfolgten. Wenn der Untersuchungsbeginn nicht 1989, sondern vielleicht schon in den Fünfzigerjahren gewesen und im normalen Offenland gemessen worden wäre, würden wir noch zu ganz anderen Zahlen kommen.

Im Umweltausschuss hatten wir eine Sachverständigenanhörung. Da berichtete ein Leipziger Forscher, der hier in Sachsen seine Untersuchungen anstellt, dass er festgestellt hat, dass zwischen 2002 und 2016 ein Rückgang bei den Wildbienen um 90% und bei Hummeln um 86% sowie bei der Artenanzahl um 58 % erfolgte. Das sind sächsische Zahlen.

Ein anderer Sachverständiger, Herr Prof. Schmid-Egger, hat berichtet, dass vor 20 oder 30 Jahren verschiedene Arten an vielleicht 100 Plätzen im Land gefunden wurden, während sie heute vielleicht noch an zwei oder drei Plätzen gefunden werden. Das bedeutet: Wenn jetzt noch etwas schiefgeht, werden manche Arten dauerhaft verschwunden sein.

Wir können uns fragen, ob das nur die Insekten betrifft. Nein, das betrifft natürlich auch Pflanzenarten und Biotoptypen. Auch dort sind nur noch 40 % ungefährdet.

Wir müssen einmal überlegen, was das für uns bedeutet. Die Insekten sind das Fundament unseres Lebens, das Fundament der Tierwelt. Sie erbringen unverzichtbare Ökosystemdienstleistungen. 75 bis 80 % unserer Kulturpflanzen werden bestäubt. Die Insekten lockern den Boden und werden für die Humusbildung gebraucht. Sie sind ein essenzieller Bestandteil. Bei allem Nutzen haben sie aber einen Selbstzweck. Wir Menschen haben sie nicht geschaffen. Wieso sollte uns zustehen, dabei zuzusehen, wie sie verschwinden, und vor allem – wir kommen gleich noch dazu – maßgeblich daran mitzuwirken?

Wir dürfen es nicht vergessen: Die Insekten als Fundament des Lebens stehen am Beginn der Nahrungskette. Wo stehen wir Menschen? Wir stehen am Ende der Nahrungskette. Ich glaube, wenn das Fundament unseres Lebens zusammenbricht – und das ist nicht dramatisiert -‚ wenn drei Viertel oder sogar mehr davon verschwinden, dann ist das nicht nur ein leichter Riss, sondern wir sollten beunruhigt sein.

Deswegen wundere ich mich, dass angesichts einer solchen Situation wir als kleinste Oppositionsfraktion dieses Thema in den Landtag bringen, und frage mich, wieso das nicht von der Koalition oder von der Staatsregierung kommt.

Wir GRÜNEN fordern nicht, dass die Landwirtschaft nicht mehr funktionieren soll, sondern wir fordern eine Landwirtschaft im Einklang mit der Natur.

Ich hatte es schon dargelegt: Die Landwirtschaft selbst ist abhängig davon, dass die Natur funktioniert, denn sie ist davon abhängig, dass die Insekten vorhanden sind.
Eine Landwirtschaft ohne Insekten wird es schlichtweg nicht geben. Deswegen gibt es dabei keinen Dissens, sondern wir müssen gemeinsam Wege finden.

Ich spreche regelmäßig mit Landwirten und nicht nur mit Biolandwirten. Die sind mittlerweile wesentlich weiter als Sie. Sie haben nämlich erkannt, dass etwas passieren wird. Sie sind nur hoch unzufrieden damit, dass sie alleine gelassen werden. Sie hätten gern Wege eröffnet, wie sie dahinkommen.

Noch einmal zur Statistik – Kollegin Pinka hatte es schon angesprochen -: Von unserer Landesfläche ist knapp die Hälfte Landwirtschaftsfläche. Wenn wir dann hören, wir könnten aber auch im Gartenbau etwas machen, dann ist festzustellen: Das sind 0,002 % der Landesfläche. Da kann man sich einmal stark überlegen, wo der Hebel liegt.

Man muss sich überlegen, wo man ansetzen muss und wie es zu diesem Artensterben kommt. Ja, es ist immer Lebensraumverlust. Auf den Flächen, wo sie sind, ist es Töten. Die beiden Aspekte sind es. Da haben wir den Lebensraumverlust.

Das heißt, wir haben unsere Landschaften in Jahrzehnten ausgeräumt. Das, wo wir früher ein Mosaik an Vielfalt und extensiv genutzte Flächen hatten, ist verschwunden. Das haben wir einfach beseitigt, in sehr vielen Einzelschriften. Das war ein schleichender Prozess, zum Beispiel durch die Meliorationsmaßnahmen oder das Zusammenlegen von Schlägen. Auf den Flächen haben wir immer intensiver gewirtschaftet. Das kann man ein paar Jahrzehnte so machen, aber jetzt kassieren
wir gerade die Quittung dafür. Deswegen müssen wir genau jetzt umsteuern, gemeinsam mit den Landwirten.
Gleichzeitig müssen wir auf den Flächen wieder von den Giften wegkommen. Wenn ich flächenmäßig und mehrmals im Jahr Insektizide sprühe, was passiert dann? Ich töte die Insekten. Wir haben das Problem, dass es nicht mehr genügend Rückzugsraum gibt. Das hatte ich vorhin schon dargelegt. Wir haben es jetzt – das hatten auch die Sachverständigen in der Anhörung deutlich gesagt – mittlerweile fünf nach zwölf. Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen jetzt handeln und wir wissen das.

Wir müssen endlich dazu kommen, mit der Landwirtschaft nicht zurück ins 19. Jahrhundert zu gehen. Für moderne Landwirtschaft müssen wir jetzt Wege finden, dass trotz des Einsatzes größerer Maschinen Strukturen wie Hecken und Ackersäume in die Landschaft kommen können.

Wir als Freistaat müssen zum Beispiel an unseren Straßen endlich wieder ordentliche Alleen hinsetzen und mit unseren Flächen – ich sage nur: Zentrales Flächenmanagement – vorbildhaft vorangehen. Dass es beim Biotopverbund vorangehen würde, davon höre ich nichts.

Man muss ganz klar sagen: Kein Mensch wirft jemandem vor, dass gar nichts gemacht würde. Keiner macht den Vorwurf, dass nichts passiert, aber ganz offensichtlich passiert nicht genug, dass wir eine Trendwende hinbekommen. Das ist doch die Aufgabe, vor der wir stehen – auch wenn wir nachher vielleicht noch lauter Einzelmaßnahmen hören. Selbst in der Sachverständigenanhörung zu dem Thema, was in der Landwirtschaftsförderung passiert – etwa über Greeningmaßnahmen -,  hat der eine Sachverständige deutlich den Unterschied dargestellt zwischen dem, was die Landwirte dort immer gern machen, und dem, was naturschutzfachlich die höchste Wirkung hat und was gemacht wird: in über 68 % der Fälle Zwischenfruchtanbau, bei 11 % Hülsenfruchtanbau, die ökologisch eher sehr geringe Auswirkungen haben, aber bei nützlichen Blühstreifen nur 1,2 % Umsetzung, und Landwirtschaftselemente dauerhaft, wo man wirklich den größten Hebel hätte, 2,4 %.

Dort sehen wir doch die Aufgabe: Wir müssen die Landwirte dazu bringen, die Dinge zu tun, die nützlich sind – da ist auch schon das Wort mit dabei -, damit auch die Nützlinge für die Landwirte wieder da sind: diejenigen, die bestäuben, und die, die auch Schädlinge beseitigen, die den Boden lockern. Die Landwirte brauchen das.

Deswegen müssen wir zu dem Punkt kommen, dass wir nicht mehr mit irgendwelchen Kleinstmaßnahmen agieren – hier ein bisschen mit Agrarumweltmaßnahmen, dort ein bisschen mit dem Greening und vielleicht da mal auf dem Naturschutzgebiet etwas machen- , sondern wir brauchen eine Wende im großen Maßstab, da wir auch im großen Maßstab in unseren Lebensgrundlagen bedroht sind. Das muss langsam auch hier als Erkenntnis ankommen, und ich würde mich sehr freuen, wenn die Kollegen in dieser Hinsicht einmal zu einem neuen Schritt gelangen würden.

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