Günther: Wir brauchen Lösungsvorschläge, die an den Ursachen der Krise ansetzen – und das auf europäischer Ebene

100_9091Redebausteine des Abgeordneten Wolfram Günther zum Antrag der Fraktion DIE LINKE:
„Milchviehhaltende Betriebe und Unternehmen in Sachsen stärken – Milch(preis)krise wirksam begegnen [Milch(preis)krise-Maßnahmepaket]“ (Drs. 6/4079)
31. Sitzung des Sächsischen Landtags, 17. März 2016, TOP 8

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

bereits seit über einem Jahr durchlaufen die Milchbäuerinnen und Milchbauern wieder ein tiefes Tal. Sie durchleben bereits die dritte Krise innerhalb von sechs Jahren. Die Erzeugerpreise sind um 30 Prozent gefallen. Eine Trendwende ist aufgrund der weiterhin steigenden Milchmengen auf dem internationalen Markt nicht in Sicht. Im Vorfeld des Milchquoten-Endes im Frühjahr 2015 kam es in den beiden Vorjahren zu massiven Ausweitungen der EU-Milchproduktion. 2014 betrug der Zuwachs sechs Millionen Tonnen Milch (plus fünf Prozent). Die Binnennachfrage blieb jedoch nahezu unverändert. Nur ein Drittel der Mehrproduktion wurde vom globalen Milchmarkt aufgenommen.

Milchbäuerinnen und -bauern können mit den gezahlten Preisen noch nicht einmal die Kosten decken, die ihnen bei der Herstellung entstehen. Gerade die Milchviehbetriebe, die sich kontinuierlich weiterentwickeln, umwelt- und tiergerechter produzieren wollen und beispielsweise in moderne Technik und Stallanlagen investieren, sind davon besonders betroffen. Sie müssen ihre Verbindlichkeiten begleichen. Zahlreiche Betriebe haben im vergangenen Jahr aufgegeben und es ist absehbar, dass weitere Betriebe diese Krise nicht überleben werden.

Eine absolute Stabilisierung von Milchpreisen ist weder machbar noch wünschenswert. Existenzgefährdende Niedrigpreisphasen, die den Strukturwandel in der Milchbranche weiter antreiben, müssen jedoch durch geeignete Instrumente abgepuffert werden. Da deutsche Alleingänge (z. B. Produktionsdrosslung) den europäischen Milchmarkt jedoch nicht stabilisieren können, muss eine Lösung von der Politik gefunden werden – und zwar auf europäischer Ebene. Wenn die EU-Milchproduktion weiterhin über der Nachfrage liegt, werden sich Milchkrisen wiederholen.

Das bestehende Sicherheitsnetz im EU-Milchmarkt reicht nicht aus, um bei einer Krise den Milchmarkt zu stabilisieren. Stark schwankende und vor allem sehr geringe Erzeugerpreise können dadurch nicht vermieden werden. Das gefährdet zunehmend die Existenz von Milch produzierenden Betrieben, egal ob groß oder klein. Je nachdem, wer sich dazu äußert, werden verschiedene Gründe für die Krise angeführt:

  • Überproduktion
  • Russlandembargo
  • Stagnation auf dem chinesischen Markt
  • Macht der Discounter

Während Bauernverband, Regierung und namhafte Branchenvertreter das Heil im Export gesehen und die Überproduktion somit erst angeheizt haben, haben die GRÜNEN dem von Beginn an widersprochen. Es ist angesichts der wirtschaftlichen Situation der Milchviehbetriebe jedoch keine Genugtuung, Recht behalten zu haben.

Die Forderungen der LINKEN im Detail:

  • I 1. Eine Risikoausgleichsrücklage lehnen wir ab, denn nur wer Gewinne macht, profitiert davon. Für viele Betriebe ist das im Moment keine Option, denn sie machen keine Gewinne. Außerdem ist diese Bauernverbandsforderung als eine eigene Lösung für die Landwirtschaft verfassungsrechtlich problematisch, da Ertrags- und Gewinnschwankungen kein typisches landwirtschaftliches Problem sind.
  • I 2. Die Verstetigung des Bundeszuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung auf dem Niveau von 2016 ist für uns nur eine Option, so lange dies auf die Dauer der akuten Krise beschränkt bleibt.
  • I 3. Punkt 3 ist überholt. EU-Agrarkommissar Phil Hogan hat im letzten Agrarrat mitgeteilt, dass selbst von den 500 Millionen Euro, die bereits zur Verfügung gestellt wurden, bisher längst nicht alles abgerufen wurde. Insofern kann man das zwar weiter fordern, große Relevanz besitzt es aber nicht.
  • I 4. Diesem Prüfauftrag werden wir uns nicht verschließen, zumal es sich um ein sehr komplexes Thema handelt (es geht weit ins Wettbewerbsrecht hinein usw), bei dem bisher viele Fragen offen sind.
  • I 5. Unterstützen wir ohne Wenn und Aber, denn es ist die grüne Kernforderung beim Thema Milchkrise.
  • II. Eine gezielte und exklusive Förderung der Vermarktung heimischer Milch(produkte) ist – wie die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme richtig ausführt – förderrechtlich schwierig und auch nicht notwendig. Der Freistaat bietet bereits Programme zur Absatzförderung an. Wie intensiv diese genutzt werden, kann uns die Staatsregierung vielleicht im Rahmen dieser Debatte verraten.

Solche Förderung braucht zu allererst Antragsteller. Landwirte, die aktiv werden und den oft mühsamen und umständlichen Weg der Förderbürokratie betreten. Der Bauernverband ist dabei wenig hilfreich, denn er verharrt in passiver, jammernder und fordernder Haltung, statt zu animieren und seine Mitglieder anzuleiten, vorhandene Fördermittel auch zu nutzen.

Zum Thema Liquiditätshilfen: Es ist ein zweischneidiges Schwert – zum einen helfen sie kurzfristig den Betrieben, andererseits vergrößern sie deren Abhängigkeit durch Steigerung der Verbindlichkeiten. Außerdem ändern diese Darlehen nichts am vorliegenden Marktversagen. Unter diesen Bedingungen führen Liquiditätshilfen allenfalls zum „Sterben auf Raten“.

Wir brauchen Lösungsvorschläge, die an den Ursachen der Krise ansetzen. Dies wird uns nur gelingen, wenn wir die Menge in den Griff bekommen. Die Lösung der Krise ist eine europäische Aufgabe. Deutschland als größtes Milcherzeugerland der Union muss dazu einen wesentlichen Anteil leisten. Deutschland muss deshalb die französischen Vorschläge zur Mengenreduzierung aufgreifen und sich in einem gemeinsamen europäischen Vorgehen eindeutig für eine Mengenreduzierung einsetzen.
Die GRÜNEN haben auf Bundesebene deshalb ein Notmaßnahmenprogramm zur Sicherung der bäuerlichen Milcherzeuger vorgeschlagen. Neue Nothilfemaßnahmen müssen jetzt für alle Betriebe bereitgestellt werden, die ihre Milchmenge reduzieren und damit einen aktiven Beitrag zur Entspannung der Überschusssituation leisten.

Molkereien müssen kurzfristig und für einen festgelegten Zeitraum Programme mit gestaffelten Bonuszahlungen zur Marktentlastung einführen, die den Betrieben zu Gute kommen, die ihre Milcherzeugung entweder nicht ausdehnen oder um eine Menge von bis zu fünf Prozent reduzieren. Molkereien müssen von staatlicher Seite in die Finanzierung weiterer Notprogramme eingebunden werden, wenn sie die eigene Verantwortung zur Stabilisierung des Milchmarktes nicht wahrnehmen.
Kurzfristige neue Soforthilfen zur Überbrückung der aktuellen Liquiditätsengpässe: Diese Soforthilfen müssen als gestaffelte Bonuszahlungen in Höhe von bis zu drei Cent pro kg Milch an die Milchbetriebe gezahlt werden, die ihre Erzeugung nicht ausweiten oder um bis zu fünf Prozent senken.
Wir schlagen vor, für einen befristeten Zeitraum eine Abgabe für die Erzeuger einzuführen, die ihre Erzeugung um fünf Prozent oder mehr erhöht haben, um eine gegenläufige Ausdehnung der Erzeugung zu vermeiden (Trittbrettfahrereffekt).

Gesetzesänderungen im Wettbewerbs- und Genossenschaftsrecht zur Stärkung der Erzeugerposition und ggf. auch wettbewerbsrechtliche Möglichkeiten zur zeitlich befristeten Sicherung von Preisen und Festsetzung von Kostensätzen, Handelsspannen, Zahlungs- und Lieferungsbedingungen sind zu prüfen und kurzfristig umzusetzen.
Wir fordern die Einführung eines Marktverantwortungsprogramm, welches verschiedene Instrumente der flexiblen Mengensteuerung beinhaltet, gemeinsam mit Milcherzeugerinnen und Milcherzeugern, Molkereien, Wissenschaft und Verbraucherverbänden.

Wir haben lange überlegt, wie wir mit dem Antrag umgehen sollten, denn das Thema ist es wert, diskutiert zu werden, und verstärkte Anstrengungen zur Unterstützung sächsischer Landwirtschaftsbetriebe unterstützen wir ebenfalls. Der Antrag allerdings vereint einen wilden Blumenstrauß verschiedener Maßnahmen, die derart unstrukturiert eingesetzt, zwar viel Geld kosten würden, jedoch wenig Effekt erzielen. Es braucht hier also eine klarere Strategie, mehr Sorgfalt und weniger Populismus – allesamt nicht unbedingt die Stärken der Linksfraktion. Dass die europäische Ebene völlig ausgeklammert wird, dort aber der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt, ist ein weiterer Grund, diesen Antrag abzulehnen.

 

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