Südring oder Wiese? Bericht und Zusammenfassung der Veranstaltung zum Flächenfraß in Chemnitz

Mit der Veranstaltungsreihe „Flächenfraß stoppen“ waren Wolfram Günther zusammen mit Volkmar Zschocke am 28. März in Chemnitz zu Gast.

„Sachsen hat 20 Prozent weniger Einwohner als 1990, aber die genutzte Fläche vergrößerte sich im gleichen Zeitraum um 13 Prozent. Immer weniger Leute verbrauchen immer mehr Fläche“, fasste Grünen-Fraktionschef Wolfram Günther das Problem eingangs zusammen. Als umweltpolitischer Sprecher hat er mit der Fraktion eine Gesetzesinitiative gestartet, um von einem Verbrauch von aktuell 4,5 Hektar täglich zu einem Nullverbauch zu kommen.

Erreicht werden soll das mit einem landesweiten Flächenzertifikatehandel. Ein neuer Supermarkt mit Parkplatz auf der grünen Wiese soll zum Beispiel mit dem Abriss und der Entsiegelung des Grundstücks einer Fabrikruine ausgeglichen werden. Darauf könnte auch kundennah ein neuer Supermarkt gebaut werden, weil die Rückbaukosten nicht mehr anfallen, gespart würde Gewerbefläche auf der grünen Wiese. Und zusätzliche Versiegelungen durch neue Zuwege.

Warum ist das so wichtig? „Auf einer Fläche leben so viele Insekten und andere Tiere, die dort Platz und Nahrung finden. Wenn die Fläche unter Beton verschwindet, sind die Arten dort verloren“, erklärt er. An den Orten zeige sich der „Donut-Effekt“, sie würden wie ein gebackener Kringel mit hohler Mitte, wenn das Zentrum leer fällt und Wohnen, Arbeit, Handel, Freizeit immer mehr außerhalb stattfindet – und ohne Auto nicht erreichbar ist.

Was erreichen die Grünen mit dem Gesetzentwurf? Günther berichtete auf eine Rückfrage aus dem Kreis der etwa zwanzig Gäste, dass er in der Anhörung auch bei den von der CDU bestellten Sachverständigen Anklang gefunden habe: „Der Druck nimmt zu.“ Und etwa Sachsen-Anhalt würde sehr restriktiv Wohngebiete auf der grünen Wiese genehmigen.

Sein Fraktionskollege Volkmar Zschocke, mit den Chemnitzer Gegebenheiten seit der Wendezeit vertraut, zeigte dann die zahlreichen Beispiele aus seiner Stadt auf. Etwa das Gewerbegebiet Rabenstein Ost, ausgewiesen als „Feld mit Autobahnanschluss“ angesichts drohender Forderung, Fördermittel für einen Autobahnanschluss zurück zu zahlen, der nach Anwohnerprotesten kleiner gebaut wurde. Oder der Nettomarkt Harthau, genehmigt im Hochwasserjahr 2013 am Zusammenfluss von Zwönitz und Würschnitz. Auf alten Karten sei dort eine grüne Wiese und ein Teich zu sehen. Nach fünfjährigem Kampf einer BI in Harthau baue das Land weder ein Rückhaltebecken noch unternimmt Maßnahmen zur natürlichen Wasserrückhaltung. Die Anwohner seien nur in eine Ausstellung über hochwassersichere Fenster und Türen eingeladen worden. Versiegelung und Hochwassergefahr drohe auch in Stollberg durch ein neues Gewerbegebiet über 20 Hektar Fläche.

Den größten Flächenhunger hätte in Chemnitz der Weiterbau des Südrings. Eine stadtferne Variante war in der Nachwendezeit verworfen worden. Volkmar Zschocke erinnerte an bestehende Planungen für zwei Abschnitte zwischen Neefe- und Kalkstraße, zum Großteil parallel zur Autobahn. Um die ist es still geworden, aber allein für den Abschnitt von der Augustusburger Straße Richtung Frankenberger Straße würden 46 Hektar ökologische Flächen „anlagebedingt in Anspruch genommen“. So hatte die DEGES vor zwei Jahren informiert. Baubeginn sollte 2021 sein. Dadurch würde der Zeisigwald vom Umland abgetrennt, das Gebiet würde ökologisch verarmen. Eine „Grünbrücke“ für Tiere sei viel zu wenig, weiß Volkmar Zschocke.
Befürworter, die etwa auf Facebook die Veranstaltung diskutiert hatten, meinen, durch den Südring würde die Innenstadt entlastet. Wie stark der Effekt würde und wie groß der Schaden durch zusätzliche Verlärmung entlang der Strecke, ist unbestimmt. Und ob der Bau wirklich 2021 beginnt, ist laut DEGES inzwischen auch ungewiss.

Frischer Protest kam von einem Anlieger des geplanten zweiten Bauabschnitts zwischen Frankenberger Straße und Autobahn. Dort hatte die DEGES erst vor zwei Wochen informiert. Jan Liebers aus Lichtenau baut in seiner Gärtnerei Gemüse und Kräuter an, vor allem für seinen Hofladen und Gastronomie. „Die betroffenen Bauern laufen Sturm“, weiß er. „Einer hat gerade erst auf Bio umgestellt, dem zerschneidet der Plan die Fläche.“ Schon jetzt hört er den Lärm der Autobahn. Bei einer zusätzlichen Straße, fürchtet er, „werde ich den Hase nicht mehr hoppeln sehen, das Reh – oder hat das ein Navi und weiß, dass da eine Grünbrücke ist?“
Er hat Ideen für weniger schädliche Strecken und will als erstes den CDU-Bürgermeister an seiner christlichen Zugehörigkeit packen. „Denn wir haben den Boden nur in Obhut bekommen und werden darüber Rechenschaft ablegen müssen“, so sein Argument aus dem Glauben gegen Flächenfraß. „Ich habe ja nichts gegen Autos“, wiederholt er immer wieder. Aber die Jugend wolle gar nicht mehr so viel Auto fahren wie er in seiner eigenen Familie erlebt. Die DEGES will aus den Lichtenauer Rückmeldungen Vorzugsvarianten zu finden, Baubeginn wäre frühestens 2025. Klagen könnten an der ganzen Strecke den Bau verzögern. Und so hofft er wie alle Betroffenen, dass sich das Projekt vielleicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschiebt.

https://www.deges.de/Projekte/Bundesfern-und-Landesstrassenprojekte/in-Sachsen/B-107-Suedverbund-Chemnitz/B-107-Suedverbund-Chemnitz-K292.htm

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