Wir brauchen einen anderen Schwerpunkt beim Hochwasserschutz hin zum ökologischen Hochwasserschutz – Höhere Deiche und Mauern verlagern die Probleme nur an die Unterlieger.

 
Redebausteine des Abgeordneten Wolfram Günther zur Aktuellen Debatte:
„Erfolgreichen Wiederaufbau nach dem Hochwasser 2013 fortführen – Aufbauleistung der Sachsen würdigen“
14. Sitzung des Sächsischen Landtags, 10. Juni 2015, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ein Blick in das vom Umweltministerium bereitgestellte „Klimakompendium – Sachsen im Klimawandel“ belegt:
In den vergangenen Jahren lassen sich auch in Sachsen klimabedingte Häufungen von Extremwetterereignissen, insbesondere von regionalen Starkregenfällen und Hochwasser belegen. Sowohl die Berichte des Weltklimarates der Vereinten Nationen als auch die Analyse des Landesamtes für Umwelt und Geologie machen deutlich, dass in den nächsten Jahren mit einer weiteren Zunahme von Extremwettereignissen zu rechnen ist, die auch zu Hochwasser führen können.
Von daher ist es sinnvoll, sich im Plenum immer wieder mit diesem Thema zu beschäftigen.
Wenn wir akzeptieren, dass eine Häufung von Extremwetterlagen wahrscheinlich ist, sollten wir unseren Blick auf unsere Strategien im Umgang mit Hochwasserereignissen richten:
Mauern und Dämme immer nur höher zu bauen, hilft nicht weiter. Zu schnell abfließende Niederschläge tragen zu gefährlich hohen Wasserständen flussabwärts bei.
In Sachsen findet derzeit weder Retentionsraumausgleich statt, noch werden ausreichend neue Rückhalteflächen geschaffen. Die 47 Hochwasserschutzkonzepte mit 1.600 Einzelmaßnahmen beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit einer Vielzahl von technischen Maßnahmen, wie Flutmauern, Deicherhöhungen und Deichertüchtigungen, Objektschutzmaßnahmen, Brückendurchlässen, Straßenerhöhungen und Gebäudesicherungen.
Der Schwerpunkt muss sich künftig ändern und künftig bei ökologischem Hochwasserschutz liegen.
Ich darf in diesem Zusammenhang erneut aus dem Klimakompendium des Freistaates aus den Handlungsschwerpunkten zitieren:
„Vorbeugender Hochwasserschutz durch Sicherung und Rückgewinnung von Retentionsräumen und Verbesserung des Wasserrückhaltevermögens in der Landschaft sowie Risikovorsorge in potenziellen Überflutungsbereichen, die bei Versagen bestehender Hochwasserschutzeinrichtungen oder Extremhochwasser überschwemmt werden können und Sicherung von Standorten für technische Schutzmaßnahmen wie Deiche, Hochwasser- und Regenrückhaltebecken, sonstige Hochwasserschutzanlagen“.
Eine richtige Erkenntnis, die nur leider ungenügend umgesetzt wird.
Kurz nach der verheerenden Flut 2002 gab es die Erkenntnis, hier dringend umsteuern zu müssen. Sachsen hatte mit der Planung von insgesamt 49 Deichrückverlegungen mit jeweils mindestens fünf Hektar Flächengewinn ein weitreichendes Konzept vorgelegt.
 
Aktuell sind bisher nur drei der ursprünglich 49 geplanten Maßnahmen mit einem realen Flächengewinn von 141 Hektar (unter zwei Prozent) der ursprünglich geplanten 7.500 Hektar Überschwemmungsflächen realisiert worden. Der 1.436 Hektar große Polder im sächsischen Löbnitz soll nach Angaben der Landestalsperrenverwaltung erst 2016 fertig werden.
Warum sind in Sachsen eigentlich dreizehn Jahre nach der Flut erst drei Deichrückverlegungen bei Eilenburg, Sermuth und Flöha fertig? Beim technischen Hochwasserschutz wurde erkennbar mehr aufs Tempo gedrückt.
Aus dem im Jahr 2002 scheinbar unumstößlichen ‚Den Flüssen mehr Raum zu geben‘ ist in Sachsen eine leere Floskel geworden. Die seitdem von den sächsischen Staatsregierungen bevorzugten technischen Bauten verschieben die Flut nur auf die Unterlieger.
Insgesamt wurden nach Angaben der Staatsregierung seit 2002 1,23 Milliarden Euro für Hochwasserschutzmaßnahmen investiert. Davon wurden bis August 2014 mit rund fünf Millionen Euro weniger als 0,5 Prozent in die so entscheidende Rückverlegung von Deichen und die Herstellung von natürlichen Überschwemmungsflächen investiert.
Ich darf Sie an unseren kürzlich eingebrachten Änderungsantrag in den Haushaltsverhandlungen erinnern: Die jährlich vorgesehenen zehn Millionen Euro für den neuen Titel „Förderung des ökologischen Hochwasserschutzes“ wollten wir durch eine adäquate Reduzierung der Mittel aus technischen Hochwasserschutzinvestitionen bereitstellen. Das Geld wollten wir explizit für Deichrückverlegungen. Die Mittel können darüber hinaus auch für den zur Deichrückverlegung nötigen Flächenankauf und für Ausgleichszahlungen für temporär flutgeschädigte Landwirte bereitgestellt werden. Großzügige Ausgleichszahlungen für Ertragsausfälle im Überschwemmungszeitraum für die Besitzer dieser Flächen kommen die Steuerzahler um ein Vielfaches billiger als der vorrangige Fokus auf technischen Hochwasserschutz und die Beseitigung der Folgeschäden von Überschwemmungen. Dieser Vorschlag wurde leider durch die Abgeordneten der CDU und SPD in diesem Hause abgelehnt.
Ein besonders kurioses Beispiel für die technische Ausbaupraxis in Sachsen ist der Elbedeichneuaufbau bei Ammelgoßwitz für 8,5 Millionen Euro. An einer Mäanderschlinge hätte sich eine Variante mit viel kürzerer Deichrückverlegung zwingend aufgedrängt. Für die nun entstehenden extremen Mehrkosten hätte man die Landwirte selbst bei jährlich auftretenden Extremhochwassern über mindestens 70 Jahre lang entschädigen können.
Neben mehr Retentionsflächen und der Ertüchtigung des technischen Hochwasserschutzes gibt es für uns aber zwei weitere Bausteine, die in Sachsen unterbelichtet sind.
Das wäre zum Einen die Bauvorsorge, die Gebäude durch hochwasserangepasste Bauweisen und Nutzungen mögliche Hochwasserüberflutungen schadlos bzw. schadensarm überstehen lässt.
Zum Anderen sehen wir noch ein riesiges Potenzial bei der ingenieurbiologischen Ufersicherung. Diese gut erforschten Bauweisen mit lebenden Gehölzen, wird vor allem in der Schweiz und Österreich, aber auch in Bayern oder Baden-Württemberg verstärkt angewandt.
Hier empfehle ich Ihnen den Blick in den Vogtlandkreis nach Mylau. Mylau war durch das Anschwellen der Göltzsch 2013 massiv betroffen. Teile der Stadt mussten evakuiert werden. Und jetzt kommt es: Vor Ort waren zwei völlig verschiedene Ufersicherungen eingebaut worden.
Die in Sachsen übliche und viel zu häufig angewandete Variante der pflanzenfreien konventionellen Steinsätze und Steinschüttungen wurde vom Hochwasser weggerissen und vollständig zerstört.
Die im Jahr 2011 nach ingenieurbiologischer Bauweise erfolgte Ufersicherung hat das Hochwasser der Göltzsch trotz der starken hydraulischen Belastung hingegen unbeschadet überstanden. Das ist weitblickende kostengünstige und finanziell nachhaltige sächsische Ingenieurbaukunst vom Feinsten und sollte viel mehr angewandt werden.

 

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